Martha Heinen
Ursprünglich gab es innerhalb der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) einen Bereich, der sich mit Diätetik befasste, ähnlich wie im Ayurveda und in der Tibetischen Heilkunde. Bereits im
11.-7. Jahrhundert v. Chr. waren die Diätärzte in China sehr angesehen. Mittels ihrer diagnostischen Fähigkeiten gaben sie vor allem Empfehlungen zur Verhütung von Krankheiten. Auch heutzutage hat
die Ernährung innerhalb der TCM eine vorbeugende und Gesundheit erhaltende Funktion. Sie dient vor allem auch zum Ausgleich von bioklimatischen Einflüssen wie Wind, Hitze, Feuchtigkeit, Trockenheit
und Kälte. Aber auch im Falle einer Erkrankung ist es möglich, mit individuellen Ernährungsempfehlungen den gesamten Organismus und das Meridiansystem im Heilungsgeschehen zu unterstützen.
Im Idealfall ergänzen sich Ernährung, Akupunktur, Massage, Moxa und Qi Gong in ihren Wirkungsweisen. So wird langfristig der Mensch ganzheitlich behandelt, nicht nur seine Symptome. Auch dem
emotionalen Bereich wird in dieser Behandlungsweise seine Bedeutung beigemessen, denn Emotionen wie Wut, Begierde, Zweifel, Trauer und Angst bringen den gesamten Organismus aus dem Gleichgewicht und
behindern einen freien Energiefluss in den Meridianen.
Die Diätetik nach der chinesischen Medizin basiert auf einer präzisen und sehr differenzierten Anamnese. Anhand der Prinzipien von Yin und Yang, dem System der 5 Elemente (Holz, Feuer, Erde,
Metall und Wasser) lassen sich Disharmoniemuster erkennen. Mit Hilfe der Betrachtung und Befragung des Menschen sowie durch Puls- und Zungendiagnostik ist es möglich, ein sehr präzises Bild zusammen
zu führen. Auch hier wird der ganze Mensch betrachtet, nicht nur seine offensichtlichen Krankheitszeichen.
Erfahrungsgemäß gibt es verschiedene Tendenzen wie z.B. Energiemangel, Energieblockaden, Mangel an Wärme oder einen Hitzeüberschuss, Trockenheit oder eine Fülle an Flüssigkeiten im Körper, sowie
Erschöpfung der Körpersubstanzen oder Ablagerungen im Körper, um nur einige Grundmuster anzudeuten. Neben diesen grundlegenden Tendenzen gibt es mehr als 50 differenzierte Bilder im Bezug auf die
Elemente und den entsprechenden Organen und Funktionskreisen. In der Regel wird in einer Anamnese Bezug zu mehreren dieser Möglichkeiten gefunden und dementsprechend erhält auch jeder Mensch sehr
individuelle Empfehlungen, die für einen gewissen Zeitraum gelten, bis das innere Gleichgewicht wieder hergestellt ist.
Da heutzutage viele Menschen in Resonanz zu krankmachender Ernährung stehen, woraus sich ernährungsbedingte Krankheiten entwickeln, ist die Ernährung nach den 5 Elementen sehr hilfreich. Ein
Verständnis der 5 Elemente kann leicht erlangt werden, und so öffnet diese Art der Ernährung Tore zu einem sehr alten Wissensschatz.
Im wesentlichen geht es darum, die Wirkungsweisen der Geschmacksrichtungen „süß, scharf, salzig, sauer und bitter“ zu verstehen und diese im Alltag sinnvoll anzuwenden. Von großer Bedeutung ist auch
die thermische Qualität der Speisen und Getränke. Bei wechselnden Jahreszeiten oder je nach Konstitution (Kälte- oder Wärmetypus) ist dieses Wissen von großem Nutzen.
Der moderne Mensch hat heutzutage den Bezug zur Natur und häufig zur gesamten Schöpfung verloren. Irritiert durch ein Überangebot billiger, industriell hergestellter Kost wird zwar gegessen, aber
Leib und Seele werden nicht genährt. Die Verbindung zur Quelle unserer Nahrung ist unterbrochen und damit auch Gefühle wie Zufriedenheit, Dankbarkeit und Freude beim Einkaufen, Zubereiten und
Genießen des Essens. Die Ernährung nach den 5 Elementen ist daher eine Chance, aus dem alten Trott herauszutreten und wieder mit Achtsamkeit und im Hinblick auf eine ausgleichende,
gesundheitsfördernde Weise zu essen.
Der Schlüssel zur Klassifizierung von Nahrungsmitteln ist in der Traditionellen Chinesischen Medizin ,ebenso im Ayurveda und in der Tibetischen Heilkunde , ihr Geschmack. Im Mittelalter war im
westlichen Kulturkreis auch das Wissen um die Wirkeigenschaften der Geschmäcker auf den menschlichen Organismus bekannt. Innerhalb der TCM ( Trad. Chines. Medizin ) werden die Fünf (Sieben)
Geschmacksrichtungen den Elementen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser zugeordnet. Sauer und Adstringierend entsprechen demnach dem Element Holz, Bitter dem Feuer, Süß und Fade der Erde, Scharf dem
Metall und Salzig dem Wasser. Dies sagt allerdings sehr wenig über ihre vielfältigen Wirkungen auf die Organe aus. Für die Anamnese ist es jedoch wichtig im Bezug auf das Verlangen oder Bevorzugen
eines Geschmacks. Wenn ein Kind ständig Süßes verlangt, deutet dies auf einen Mangelzustand im Element Erde, in der Milz. Gleichzeitig gibt dies eine Warnung vor allzu vielen Süßigkeiten und
Naschereien. Das Qi der Milz sollte in dem Fall langfristig durch die milde, natürliche Süße von Getreide, Gemüse und Obst tonisiert werden. Die Abneigung gegen einen bestimmtem Geschmack kann auf
einen Zustand der Fülle in dem zugehörigen Element hindeuten. Dies kann manchmal als besonderer Geschmack im Mund wahrgenommen werden.
Das harmonische Zusammenspiel aller Organe wird wesentlich durch die verschiedenen Geschmäcker beeinflusst. Bereits in klassischen Texten werden diese mit Qi-regulierenden, tonisierenden und
harmonisierenden Eigenschaften beschrieben. Ihre Wirkungsweisen zu verstehen, zu empfinden und in den täglichen Mahlzeiten zum Ausdruck zu bringen ist von immenser Bedeutung, ,um erwünschte
therapeutische Resultate zu erzielen. Überwiegt z. B, der saure Geschmack, so daß Holz übermächtig wird, kann Erde angegriffen werden mit dem Ergebnis von Muskelproblemen. Die fünf Verbote dazu aus
dem Nei Jing , einem Klassiker der TCM, heißen: "Bei Lebererkrankungen ist Scharfes verboten, bei Herzerkrankungen ist Salziges verboten. bei Milzerkrankungen ist Saures verboten, bei
Nierenerkrankungen ist Süßes verboten und bei Lungenkrankheiten soll Bitteres vermieden werden."
Die Geschmäcker unterscheiden sich energetisch gesehen nach ihren Bewegungs- und Energierichtungen. Ein Geschmack hat Yin-Eigenschaften, wenn seine Bewegungsrichtung nach unten und seine Energierichtung nach innen geht. Dies ist bei Sauer/Adstringierend, Bitter und Salzig in Verbindung mit Flüssigkeit der Fall. (z.B. Mineralwasser). Süß, Scharf und Salzig im trockenen Zustand besitzen Yang Eigenschaften, da ihre Bewegungsrichtung nach oben und ihre Energierichtung nach außen geht. Diese Eigenschaften lassen sich leicht nachvollziehen. Denken wir dabei z. B. an die zusammenziehende Eigenschaft einer Zitrone (sauer) oder an die verteilende Kraft einer Zwiebel oder Ingwerknolle (scharf). Durch die Zubereitung von Nahrungsmitteln, insbesondere durch die Verwendung des Feuers beim Kochen kann sich der Geschmack verändern, wobei jedoch seine Grundeigenschaften erhalten bleiben. In der Regel wird durch den sinnvollen Gebrauch des Feuers beim Kochen der Geschmack optimiert und er gewinnt an Intensität. Als Beispiel nenne ich gerne die Zwiebel, welche von Natur aus scharf ist. Roh gegessen kann sie das Feuer des Magens zu sehr anregen und zu Aufstoßen führen. Durch Dünsten oder schonendes Anbraten wird die Schärfe der Zwiebel hin zum Süßen transformiert, während sie ihre natürlichen Eigenschaften, die wärmend und verteilend sind, beibehält. Wir kennen alle die wohlschmeckende süß-wärmende Qualität einer sorgfältig geköchelten Zwiebelsuppe im Winter.
Alle Organe, insbesondere die Milz benötigen alle fünf Geschmäcker um optimal versorgt zu sein. Im Funktionskreis Milz werden die Geschmacksrichtungen erkannt. Deshalb werden der Mund, wo die
Geschmackswahrnehmung stattfindet und die Lippen als seine äußere Entfaltung, dem Element Erde zugeordnet. Von der Milz aus werden die Geschmäcker an die einzelnen Speicherorgane, Leber, Herz, Lunge
und Nieren, verteilt und dort als Essenz gespeichert.
Es ist optimal, wenn in einer Speise oder einer Mahlzeit alle Fünf Geschmäcker vorkommen. Sie haben folgende Eigenschaften und Wirkkräfte: Das Süße tonisiert, baut körpereigenes Qi auf und bringt es
in Bewegung. Außerdem harmonisiert und entspannt es. Es ist für jeden Menschen, ganz besonders für Kinder und Jugendliche, die sich im Wachstum befinden , der wichtigste Geschmack. Das Scharfe wirkt
verteilend und öffnet die Hautporen. Daher ist Scharf der wichtigste Geschmack um sich gegen Kälte zu schützen. Ein warmer Yogitee, der aus einer Gewürzmischung, die wärmt und für das leichte Öffnen
der Hautporen sorgt , vertreibt eine beginnende Erkältung. Die berühmte hieße Zitrone bewirkt hier das Gegenteil. Der saure Geschmack hält die Kälte im Körperinneren fest. Scharfes fördert außerdem
die Durchblutung und regt die Funktionen von Herz und Kreislauf an. Milz und Magen werden durch Scharfes erwärmt. Das Salzige trocknet aus oder befeuchtet, je nach Zustand, trocken als Salz oder in
Verbindung mit Flüssigkeit. Als Glaubersalz leitet es nach unten hin aus. Es reguliert das Säure -Basen Verhältnis und in form von Meeresgemüse wird es zum Erweichen von Stagnationen und Ablagerungen
benutzt. Das Saure/Adstringierende bewahrt die Körpersäfte, indem es vor übermäßigem Schwitzen schützt. Um die Essenz der Nieren zu bewahren und die Knochen zu schützen ist es der wichtigste
Geschmack.
Die Geschmäcker werden in der Kräuter- und Ernährungstherapie auch als Botschafter oder Vermittler eingesetzt. Sie befördern die Heilwirkung eines Krautes oder Nahrungsmittels durch Meridiane zu
Organen oder Körperteilen. Z. B. Kräuter in Essig eingelegt erreichen die Leber. Im Nei Jing ist zu lesen: " Der saure Geschmack geht zuerst in die Leber, das Bittere geht zuerst zum Herzen, das Süße
reist zuerst zur Milz , das Scharfe geht zuerst zur Lunge und das Salzige geht zuerst zur Niere.
Martha Heinen ist Buchautorin von "Kochen und Leben mit den Fünf-Elementen" erschienen im Windpferdverlag.
Martha Heinen unterrichtet regelmäßig für Mercurius Forum für TCM.